Thitz2020-10-02T14:45:21+02:00
Angie Horlemann

„Thitz bringt den Vollbegriff des Tüten-Seins für seine Kunst in Anschlag, er verbindet die scheinbar so lapidaren und selbstverständlichen Behältnisse unserer gegenwärtigen Zivilisation, die Tüten, mit einer besonderen Vorstellung von Botschaft und ihrer globalen Positionierung.“

ThitzTüten als Signet der Kunst
Lebenslauf
1962 geboren am 30. 12. in Frankfurt a. M.
1985 erste Tütenbilder
1983 bis 1989 Studium der Malerei bei Professor K.R.H. Sonderborg an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
1989 bis 1990 Stipendium bei Professor Pijuan an der Facultad de Bellas Arten Universität de Barcelona
1990 Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD nach Spanien

Über mich:

Tüten sind das Signet der Kunst von Thitz. Thitz nutzt Tüten nicht nur in ihrem üblichen Gebrauch als Behältnis, er setzt die Tüte in ihrem vielfältigen und umfassenden Sinne als integrale Koordinate seines globalen Kunst-Koordinatensystems ein. Im deutschsprachigen Bereich bezeichnet „Tüte“ allgemein dünne verformbare Behältnisse aus Papier, Kunststoff und anderen biegsamen Materialien, die zur Aufnahme und zum Transport von Lebensmitteln, losen kleinen Gegenständen und pulverförmigen Materialien dienen. Seit dem 20. Jahrhundert sind Tüten das wichtigste Utensil des Einzelhandels und des Konsums. Das Wort „Tüte“ leitet sich vom mittelniederdeutschen „Tute“ ab. Bis heute bezeichnet man mit „Tute“ auch Blasinstrumente, etwa die Hörner oder alles, was laute Töne hervorbringt. Das „Tuten“ oder „ins Horn blasen“ gehört auch zu diesem Bedeutungsfeld. Spitztüten gehören zu den ältesten Behältnissen der Menschheit überhaupt, sie lassen sich leicht ohne Werkzeug aus großen Blättern oder Häuten herstellen. Thitz verwendet in der Regel die Klotzboden-Beutel, die nicht in einer Spitze enden, sondern kastenförmige Behältnisse ausbilden, wenn man sie öffnet. Die Tüte ist wesentlicher Teil unserer konsumorientierten gegenwärtigen Zivilisation, sie hat globalen Charakter und ihr haftet eine Assoziation zum Tuten und zum Laut-Verbreiten an. Damit ist ein Feld aufgespannt, das wesentlich spätestens seit der Pop-Art substantieller und integraler Bestandteil einer Kunst ist, die die Bilder dieser Welt, ihre Abbilder, den Alltag, das Serielle, das Vielfältige mit dem Gebrauchten und Schrillen zu einer neuen, die Emotion der Menschen tief berührenden, Kunst verbindet.

Thitz fußt mit seiner Kunst auf einem gesellschaftlichen Prozess, der Mitte des 20. Jahrhunderts begann und die Kunst und die Welt umfassend veränderte. Die Jungen und Wilden der Generation Pop zogen mit ihrer Teenage-Rebellion gegen die Generation ihrer Väter und Mütter, das Establishment und den Staat ins Feld. Sie surften auf der Welle der neuen Pop- und Rockmusik und lösten damit die größte gesellschaftliche Revolution in der Geschichte der Menschheit aus. Stand am Anfang noch die Vorstellung eines autoritativen Staates und einer autoritativen Familie in der westlichen Welt und das Diktat der „einen, wahren Kunst“, so hatte am Ende des Jahrhunderts die Selbstbestimmung des Individuums, die Freiheit des Einzelnen und seine Entfaltungsmöglichkeiten und eine neue vielfältige Kunst diese alte Vorstellung abgelöst. Es entstand eine Pop-Kultur, die ganz viele Menschen berühren wollte. In diesem Prozess entwickelten sich eine vollabstrakte gestische Kunst, die Kunst der Farbfeldmalerei und vor allem die neue Pop-Art. Äußere Kennzeichen der Pop-Art der 1960er Jahre sind die Hinwendung zum Seriellen, zum Fabrik-Gemachten, zum Übrig-Gelassenen und Weggeworfenen. Die große Nähe zur plakativen Darstellung der Werbung, der Comics und des Alltags sind ihr Kennzeichen.

Thitz steht in dieser Tradition, er entwickelt sie weiter, er spitzt sie zu und er integriert die Pole von Alltag, Kunst, Leben und deren sinnlicher Erfahrung zu einer neuen Form von Kunst. Thitz ist ein bedeutender Vertreter dieser neuen Neo-Pop-Bewegung. Sowohl die Außenseiten der Tüten werden zum Bildgrund, als auch manchmal ihr Inneres. Einzeltüten und Akkumulationen von Tüten sind Träger der Bildideen von Thitz. Immer schwingt die Idee der Materialcollagen mit, anschaulich, greifbar, unmittelbar.

Die ersten Tütenbilder von Thitz entstanden 1985, vor mehr als 30 Jahren, als Thitz noch bei dem großen informellen Meister K.R.H. Sonderborg an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart studierte. Bereits damals waren die Werke von Thitz ein Mehrfaches: darstellende Bilder, transformierte Alltagsgegenstände, Orte der künstlerischen Aktion, Dialoge mit der Welt der Bildzeichen und der Alltagswelt sowie Teil einer großen künstlerischen Performance, die weit über die Darstellung hinaus in die Welt reicht.

Nimmt man die jüngsten Städte-Bilder von Thitz in den Blick, deren Technik er lapidar „Acryl, Tüten auf Leinwand“ betitelt, ist diese enge Verbindung unterschiedlicher künstlerischer Perspektiven und Positionen sofort sichtbar. Die Sujets und Bildgegenstände sind Ergebnisse einer weltumspannenden Reisetätigkeit von Thitz, die ihn an alle bedeutenden Punkte des Erdballs geführt haben und die er zurückspiegelt in seiner Kunst. Die Bilder lassen sofort und ohne Umwege die dargestellten Städte und Orte erkennen. Die Darstellungen sind jedoch keine Abschilderungen der Ansichten, es sind Transformation in das farbige linienhafte Gewirk der Kunst von Thitz. Die reichen, unendlich detaillierten Gegebenheiten werden von Thitz in ein farbiges, vielfach erzählendes Gespinst linear anmutender Ereignisse umgeformt. Diese Städtebilder verwandeln die Geschichten der detailreichen Darstellung von Gesehenem, Vor-Ort-Erlebtem, Geträumtem und möglicherweise Eingetretenem zu einem farbigen linienhaften neuen Ganzen. Auch wenn diese Werke an Abbildungen erinnern, sind sie viel mehr als Abschilderungen, sie wirken wie eine Aufführung der Gegebenheiten des Ortes mit den Mitteln der Kunst von Thitz. Die Tatsache, dass Thitz dabei Tüten als Bildgrund einsetzt, ist nicht zufällig, sondern im Konzept verankert. Die wie Linien anmutenden Henkel- und Griff-Applikationen der eingesetzten Tüten ragen über den Bildrand wie Schlaufen hinaus. Sie überspielen die scharfe lineare Begrenzung der Bilder und lenken die Betrachtung hin zu einem Assoziationsfeld, das dem Bild auch die Assoziation einer Tüte verleiht und das Bild über das Dargestellte hinaus zu einem Behältnis für Inhalt werden lässt. Die Bilder sind Orte der Bildbotschaft, Orte des aufgenommenen Inhalts, der mittels der assoziierten Träger- und Haltesysteme potentiell transportiert werden kann, Traumbehältnisse, deren Traum-Schlaufen, die Henkel, sichtbar sind. Die Kunst von Thitz ist gleichzeitig eingespannt in ein doppeltes globales Konzept: den Reisen von Thitz durch die Welt und dem Dialog in den Reisen der Bilder in die Welt. Die Darstellungen zeigen immer wieder Menschen, die aus den Bildern herausschauen und so im Dialog Kontakt aufnehmen zu den Betrachtern. Die Bilder sind somit nicht nur Dargestelltes, sondern auch Reflexionsfläche für Impulse, die von den Bildern ausgehen und zum Betrachter kommen.

Mit seiner Kunst erschafft Thitz umfassende und globale Bilder, deren integrale künstlerische Verankerung sich nicht alleine in der Verwirklichung von etwas Bildhaftem auf einem Bildgrund erschöpft. Thitz bringt den Vollbegriff des Tüten-Seins für seine Kunst in Anschlag, er verbindet die scheinbar so lapidaren und selbstverständlichen Behältnisse unserer gegenwärtigen Zivilisation, die Tüten, mit einer besonderen Vorstellung von Botschaft und ihrer globalen Positionierung.